Zehn Jahre ist es her, dass die tunesische Bevölkerung gegen den diktatorischen Machthaber Zine el Abidine Ben Ali und für Freiheit und Demokratie aufgestanden ist. Der Arabische Frühling begann mit der Selbstverbrennung eines Händlers in Folge von Polizeiwillkür in einer der ärmsten Regionen Tunesiens. Es folgten Massenproteste und eine Welle, die sich auch auf weitere Länder Nordafrikas verbreitete.
Generalstreiks führten zum Sturz des Diktators
Der Tunesische Gewerkschaftsbund (Union Générale Tunisienne du Travail, UGTT) beteiligte sich von Beginn an an den Protesten und trug ganz wesentlich dazu bei, dass Tunesien dem Weg hin zu einer Demokratie gefolgt ist. So organisierte die UGTT Generalstreiks, jeweils in anderen Regionen, die letzten in Sfax und Tunis, die schlussendlich zum Sturz des Diktators führten. Nach dessen Sturz beteiligte sich die UGTT im beginnenden demokratischen Prozess als Vermittlerin – eine Rolle, die besonders bei der Verabschiedung der neuen Verfassung deutlich sichtbar wurde.
Der Weg zur neuen Verfassung
Die Wahlen zur verfassunggebenden Versammlung im Oktober 2011 wurden von der islamistischen Ennahda-Bewegung gewonnen. Plan war es, innerhalb eines Jahres nach der Wahl eine neue Verfassung auszuarbeiten. Es sollte entschieden werden, welche Form des politischen Systems Tunesien bekommen und wie das Wahlsystems ausschauen sollte, auch Fragen der Grundrechte wurden definiert. Allerdings waren Streits zwischen dem religiösen und dem säkularen politischen Lager an der Tagesordnung. In dieser Zeit gab es auch Übergriffe auf GewerkschafterInnen und OppositionspolitikerInnen – und schließlich sogar politische Morde. In Folge dieser Eskalation kam es zu Massendemonstrationen im ganzen Land.
Gewerkschaftsbund organisiert nationalen Dialog
Schlussendlich gelang es dem Gewerkschaftsbund UGTT, gemeinsam mit dem Unternehmerverband UTICA, der Vereinigung der Rechtsanwälte und der Menschenrechtsvereinigung Liga, einen nationalen Dialog zwischen säkularen und islamistischen politischen Kräften in die Wege zu leiten. Eine ExpertInnenregierung übernahm das Ruder und wenige Wochen danach wurde – unter starkem Einfluss der Gewerkschaften – die neue tunesische Verfassung verabschiedet. Im November 2014 fanden dann die ersten freien Parlamentswahlen nach der Revolution statt.
Ein klares Zeichen für den Frieden
2015 wurde dem sogenannten „Quartett du dialogue national“ (Gewerkschaftsbund, Arbeitgeberverband, Menschenrechts- und Anwaltsvereinigung) der Friedensnobelpreis für ihre Arbeit zur Förderung der Demokratisierung in Tunesien verliehen. Gerade in einem Jahr, in dem gleich mehrere islamistische Attentate stattfanden, die vielen Menschen das Leben kosteten – etwa im Nationalmuseum in Bardo und an einem Hotelstrand in Sousse – war dies ein wichtiges und klares Zeichen gegen die radikalen islamistischen Gruppierungen, die den Sieg der Revolution für sich zu beanspruchen versuchten.
Neue Ziele seit 2017
Dass der Weg zur Demokratie steinig ist, ist dem tunesischen Gewerkschaftsbund jedenfalls bewusst. Beim letzten Gewerkschaftskongress 2017 legte die UGTT ihre Prioritäten für die kommenden Jahre fest. Dabei wurden als vorrangige Ziele insbesondere der Kampf gegen Steuerflucht der Unternehmer, Schwarzhandel und Schmuggel definiert. Des Weiteren sollen Verbesserungen im Pensionsrecht, bei den Sozialversicherungen und bei der Arbeitslosenversicherung erreicht werden. Hochgesteckte Ziele in einem Land, in dem der Alltag der Menschen weiterhin von Arbeits- und Perspektivlosigkeit geprägt ist.
Spannungen mit Arbeitgebern und der COVID-Pakt
Dieser Kampf gegen Steuerfluchtsysteme und Privilegien der Unternehmen führt seitdem zu regelmäßigen Spannungen zwischen dem Arbeitgeberverband UTICA und der UGTT. Allerdings brachte die COVID-19-Krise beide Seiten wieder an einen Tisch. So wurde im April 2020 eine Vereinbarung zwischen UGTT, UTICA und der Regierung unterzeichnet, die die Arbeitsplätze von etwa 1,5 Millionen Beschäftigten sichern soll. Der Pakt gilt für ArbeiterInnen in der Landwirtschaft und Seefischerei, im Baugewerbe, in der Metall-, Bekleidungs- und Schuhherstellung, genauso wie im Transportwesen, im Hlgewerbe und in anderen Bereichen.
Die Demokratie muss verteidigt werden
Tunesien ist das einzige Land, das es nach dem Arabischen Frühling geschafft hat, den demokratischen Weg einzuschlagen. Korruption, eine schlechte Wirtschaftslage und hohe Arbeitslosenzahlen plagen das Land allerdings weiterhin und die Unruhen der letzten Tage rund um den 10. Jahrestag der Revolution sollen daran erinnern, dass die Demokratie täglich aufs Neue erkämpft werden muss.