Original: Arbeit&Wirtschaft

Seit Mileis Amtsantritt zeigt sich in Argentinien eine weitere Facette autoritärer Politik: ein radikaler Sparkurs mit tiefen Einschnitten für die Bevölkerung.

Es sind Hunderttausende, die Ende April 2024 auf die Straßen der argentinischen Hauptstadt Buenos Aires strömen. „Stehlt nicht die Zukunft der nächsten Generationen“ und „Bildung ist keine Ausgabe, sondern eine Investition“, so die Botschaften auf einigen der bunten Transparente, die Menschen in die Höhe halten. Ein knappes halbes Jahr, nachdem Javier Milei das Präsidentenamt übernommen hat, wird wieder einmal in Massen protestiert – dieses Mal wegen der Bildungspolitik: Die Regierung hält das Budget der öffentlichen Universitäten auf dem Stand des Vorjahres. Angesichts einer Inflation von 280 Prozent – Argentinien kämpft seit Jahren mit extremen Teuerungswellen – entspricht dies einer realen Reduktion von rund 70 Prozent. Die Maßnahme ist Teil der radikalen Sparpolitik Argentiniens – durchgesetzt von einem Präsidenten, der im Wahlkampf mit der Motorsäge auf Stimmenfang ging. Seither wurde bei öffentlichen Ausgaben gekürzt, aber auch am Arbeitnehmer:innenschutz und an demokratischen Grundrechten wie der Versammlungsfreiheit gesägt.

Argentinien: unsozialer Sparkurs

Seit seinem Amtsantritt im November 2023 verfolgt Milei einen rigorosen Umbau des Staates. Ministerien wurden zusammengelegt, Subventionen für Energie und Lebensmittel gekürzt, Zahlungen an die Provinzen eingefroren, und Zehntausende öffentlich Bedienstete verloren ihre Jobs. Proteste werden mittlerweile kriminalisiert, Sicherheitskräfte unterdrücken gewerkschaftliche Aktionen, und Gesetze zum Arbeitnehmer:innenschutz wurden per Dekret außer Kraft gesetzt.

"Die Menschen können sich kaum noch Fleisch leisten, was in Argentinien symbolisch enorm viel bedeutet." Marcus Strohmeier, internationaler Sekretär des ÖGB

Aus Sicht der Regierung zeigen die radikalen Einsparungen erste Erfolge: Argentinien erzielte 2024 erstmals seit 2010 einen Haushaltsüberschuss. Die Inflationsrate wurde fast halbiert, ist jedoch mit 118 Prozent immer noch eine der höchsten weltweit. Doch die sozialen Kollateralschäden sind enorm.

Dramatischer Reallohnverlust

Laut offiziellen Angaben des nationalen Statistikamts INDEC wurden zwischen November 2023 und Oktober 2024 über 65.000 Beschäftigte entlassen. „Diese Zahl dürfte aber stark untertrieben sein“, sagt Marta Scarpato vom argentinischen Gewerkschaftsbund Central de Trabajadores de la Argentina (CTA). Die Arbeitslosigkeit ist auf acht Prozent gestiegen, während etwa die Hälfte der Erwerbstätigen im informellen Sektor ohne soziale Absicherung arbeitet. Im kommenden Jahr wird ein weiterer Anstieg erwartet.

Hinzu kommt ein dramatischer Reallohnverlust: Allein von Oktober bis November 2024 sanken die Löhne um 15 Prozent. „Die Menschen können sich kaum noch Fleisch leisten, was in Argentinien symbolisch enorm viel bedeutet“, berichtet Marcus Strohmeier, internationaler Sekretär des ÖGB, der im Dezember die Gewerkschaften in Argentinien besuchte. Viele Menschen hätten zwei oder drei Jobs, um sich das Leben noch leisten zu können.

Geschichte gestrichen

Die Einschnitte im öffentlichen Budget treffen auch Bereiche, die tief mit der Geschichte des Landes verbunden sind. So wurden Gedenkstätten wie der ESMA in Buenos Aires, einst das größte Folterzentrum der Militärdiktatur (1976–1983), die finanziellen Mittel gestrichen. „Da geht es nicht nur um Wirtschaftsliberalismus, sondern auch um Geschichtsrevisionismus“, warnt Strohmeier.

Auch Gewerkschafterin Scarpato zeigt sich besorgt: „Milei propagierte bereits im Wahlkampf eine Rückkehr zum angeblichen goldenen Zeitalter Argentiniens Anfang des 20. Jahrhunderts.“ Diese Zeit sei jedoch von massiver sozialer Ungleichheit, Entrechtung der Bevölkerung und gewaltsamer Unterdrückung geprägt gewesen. Gewerkschaften waren damals illegal.

Dennoch gebe es Hoffnungsschimmer. Die Gewerkschaften und Organisationen der Zivilgesellschaft mobilisierten Tausende Menschen, um gegen die Sparpolitik Mileis zu protestieren. Einige Vorhaben wurden daraufhin abgeschwächt. Auch die Parlamentswahlen im Oktober 2025 könnten Mileis Macht beschränken. Wenn sein Bündnis in keiner der Kammern eine Mehrheit schafft, verlieren die Präsidialdekrete ihre Gültigkeit.