Der Fall der Prodeco-Kohleminen im Bundesstaat El Cesar im Norden Kolumbiens zeigt eindrücklich, wie eine gerechte Energiewende nicht aussieht: 2021 wurden die Minen ohne Vorankündigung geschlossen und damit über Nacht mehr als 7000 direkt Beschäftigte vor die Tür gesetzt. Während sich der Konzern ohne jegliche Verantwortung aus dem Staub machen kann, bleiben die Arbeiterinnen und die lokale Bevölkerung auf Arbeitslosigkeit, schweren gesundheitlichen Folgen und einer zerstörten Natur sitzen. Doch Not macht erfinderisch, und es bildeten sich neue Allianzen zwischen Gewerkschaften, zivilgesellschaftlichen Organisationen und Universitäten. Der folgende Artikel stellt dar, wie die gefeuerten Kohlearbeiterinnen selbstbestimmt an ihrer grünen Zukunft arbeiten, und damit zu Pionierinnen einer gerechten Energiewende von unten werden.
Profitgier und Regierungsversagen: die Ursachen der drohenden sozial-ökologischen Katastrophe.
Über mehr als 20 Jahre wurden in den beiden Minen Mensch und Natur für den Profit des Konzerns Prodeco, ein Subunternehmen in Besitz des Schweizer Bergbauriesen Glencore, ausgebeutet. Die desaströsen sozio-ökologischen Auswirkungen sind umfassend dokumentiert. Dazu zählt die vom Bergbau herbeigeführte Wasserverschmutzung und -knappheit, die Vertreibung der indigenen Bevölkerung und die Zerstörung ihrer Lebensgrundlagen, sowie Luftverschmutzung und dadurch ausgelöste Atemwegserkrankungen. 2021 gab der Konzern die Abbaulizenzen einfach an den Staat zurück, was in der kolumbianischen Geschichte so noch nie vorkam. Begründet wurde die Entscheidung mit den niedrigen Kohlepreisen und der abnehmenden Bedeutung von Kohle aufgrund der Energiewende. Dieser beispiellose Schritt warf große Fragen hinsichtlich der zukünftigen Verantwortung des Konzerns auf. Denn die Rückgabe der Lizenzen entspricht keiner geordneten Schließung der Mine. Damit wackeln auch die für eine Schließung vertraglich vereinbarten Fortzahlungen für Arbeiterinnen, sowie die Kompensationen für die zerstörte Umwelt und die lokale Bevölkerung. Die rechte Regierung unter Präsident Duque nahm das Ansuchen um die Rückgabe der Lizenzen in dieser Form an, mit der Überlegung, den ausbeuterischen und zerstörerischen Abbau durch einen anderen Konzern fortführen zu lassen. Doch im letzten Moment ließ die Duque-Regierung aus undurchsichtigen Gründen auch diese Pläne platzen. Gewerkschaften und lokale Organisationen bemängelten die Intransparenz dieser Entscheidungen und beklagten, dass in dem ganzen Prozess keine ausreichende Einbindung der direkt Betroffenen stattfand. Obwohl derzeit noch mit Vertretern von Glencore verhandelt wird, deutet einiges darauf hin, dass der Konzern einfach verschwinden kann, ohne nennenswerte Entschädigungszahlungen zu leisten. Damit würde die Profitgier des Unternehmens gemeinsam mit der Unfähigkeit der damaligen Duque-Regierung die sozio-ökologischen Katastrophe für die Region zementieren.
Not macht erfinderisch: neue Allianzen zwischen Gewerkschaften und Universität.
In einem der Dialoge zwischen den beiden Gewerkschaften Sintracarbón und Sintramienergetica und der betroffenen Zivilgesellschaft im April 2022 kam es zur ersten Begegnung mit Forscherinnen der Universität Magdalena. Nach und nach entstand bei ähnlichen Treffen im Dialog die Idee einer Umschulungsinitiative, aus der schließlich der erste Diplomlehrgang für eine gerechte Bergbau- und Energiewende (diplomado en transición minero-energética justa) in Kolumbien entstand. Inhaltliche Unterstützung kam von CORPOEMA, einer kolumbianischen Umweltorganisation, und finanzielle Unterstützung wurde von der Heinrich-Böll-Stiftung und CNV Internationaal, der Organisation für Entwicklungszusammenarbeit der niederländischen Gewerkschaft CNV, zur Verfügung gestellt. Entwickelt wurde das Programm des Diploms in einem gemeinsamen Prozess, sodass der Inhalt perfekt mit dem existierenden Wissen und den Bedürfnissen der Arbeiterinnen abgestimmt ist. Das Diplom zielt dabei vordergründig auf die von der Schließung am härtesten betroffenen Beschäftigten ab: Jene Personen, die aufgrund ihrer sehr spezifischen Qualifikation vor langer Arbeitslosigkeit stehen. Die innovative Ausbildung soll methodische und theoretische Grundlagen vermitteln, nachhaltige Tätigkeitsbereiche entwickeln und gemeinsam mit den ehemaligen Arbeiterinnen neue Wege zu wirtschaftlichen Alternativen bahnen. Im Kursplan finden sich daher verschiedenste Einheiten: Thematisiert wird etwa die ökologische Landwirtschaft ebenso wie Wertschöpfungsketten elektrischer Energien, der Aufbau eines eigenen Geschäftsmodells oder finanzielle und rechtliche Aspekte bei der Projektentwicklung. Ähnliche Vielfalt gibt es bei den zahlreichen Praxiseinheiten, die inhaltlich von der Montage von Solarsystemen bis hin zu traditionellen Techniken der Lebensmittelverarbeitung reichen. Insgesamt nahmen im ersten Durchgang des Diploms 39 Interessierte teil, davon 20 (Ex-)Kohlearbeiterinnen. Im Podcast „El Solar“ erzählen Teilnehmerinnen von ihren Erfahrungen im Kurs (auf Spanisch). Ein Arbeiter berichtet darin:
„Das eindrücklichste für mich war das soziale Modul. (…) Wir wussten zwar viel über technische Aspekte unserer Arbeit, aber nichts über die sozialen Dimensionen. (…) Jetzt verstehen wir die Bedeutung unserer sozialen Gemeinschaften und der Umwelt in der Veränderung der Wirtschaft.“
Die bisher überaus positiven Erfahrungsberichte werden wiederum genützt, um das Programm ständig weiterzuentwickeln.
Fazit: Ein Pionierprogramm als Selbstermächtigung inmitten globaler Krisen
Auch wenn sich der Diplomlehrgang noch in der Weiterentwicklung befindet und damit noch nicht abgeschlossen ist, stellt er bereits jetzt in vielerlei Hinsicht eine Erfolgsgeschichte dar. Einerseits zeigt sich, dass ein tiefes, wechselseitiges Verständnis von Problemen und Bedürfnissen, sowie die Ausarbeitung von Lösungsstrategien nur im gemeinsamen Dialog entstehen können. Dadurch können wichtige Grundannahmen wie die untrennbare Verknüpfung sozialer und ökologischer Herausforderungen zusammen erdacht und an konkreten Beispielen angewendet werden. Die gemeinsame Entwicklung des Diplomprogramms demonstriert weiters das vielversprechende Potenzial von Bottom-Up Initiativen, also Initiativen von unten, anstelle der Bevormundung durch Top-Down-Ansätze (von oben). Dadurch können sich die Inhalte wirkungsvoll an den Fähigkeiten und Bedürfnissen der Zielgruppe orientieren. Solche und ähnliche gemeinschaftlich entwickelte Kurse sollten zum Vorbild staatlicher Programme werden und bieten bis dahin zumindest eine wirksame Ergänzung zu bestehenden Top-Down-Umschulungsinitiativen. Aber nicht nur für Staaten bietet diese Geschichte ein starkes Vorbild. Viele soziale Bewegungen, Gewerkschaften sowie Aktivistinnen und Vertreterinnen der von Ausbeutung betroffenen Menschen und Umwelt könnten in Zukunft an diesem Programm anknüpfen. Auch im globalen Norden sollte man sich gegenüber derartigen Entwicklungen offen zeigen, gerade in Bereichen, wo die starren Zwänge eingerosteter Institutionen und Top-Down (Weiter-) Bildungsprogramme noch dominieren.
Vor allem aber zeigt das Programm eindrücklich, wie selbst inmitten globaler Krisen und lokaler Notlagen Potenziale für Selbstermächtigung entstehen und durch gemeinsame Aktion genützt werden können. Voraussetzung für diesen Erfolg ist die gewerkschaftliche Organisation der Arbeiterinnen und deren internationale Vernetzung, ebenso wie eine engagierte, aktivistische Wissenschaft und eine lebendige Zivilgesellschaft. Entscheidend ist am Ende aber die gemeinsame Organisation und die dafür notwendige Offenheit und Bereitschaft zur Zusammenarbeit.