Der Fall Rana Plaza
Vor 10 Jahren kam es in Bangladesch zu einem der schwersten Fabrikunfälle der modernen Zeit. Am Morgen des 24. April 2013 stürzte das Rana Plaza, ein achtgeschoßiges Gebäude, ein und riss über 1.100 Menschen in den Tod, über 2.000 wurden verletzt. Die Opfer? Näher:innen, die unter menschenunwürdigen Bedingungen T-Shirts für namhafte europäische Unternehmen produzierten. Die Produktionsstätten für T-Shirts, Turnschuhe oder Elektrogeräte befinden sich meistens im globalen Süden. Dort werden immer wieder die Arbeitnehmer:innenrechte verletzt, durch niedrige Löhne, Missachtung von Sicherheitsstandards und Gesundheit am Arbeitsplatz, erzwungene Überstunden. Außerdem werden kollektive Rechte, wie z. B. das Recht, eine Gewerkschaft zu gründen, Kollektivvertragsverhandlungen zu führen und zu streiken, systematisch verletzt. Die Textilkonzerne, die im Rana Plaza produzieren ließen, haben sich gleich nach der Katastrophe aus der Verantwortung gestohlen. Erst nach einem internationalen Aufschrei wurden unzureichende Entschädigungen an die Opfer geleistet. Die internationale Lage hat sich nicht gebessert: Immer wieder kommt es zu verheerenden tödlichen Unfällen am Arbeitsplatz.
Staublunge für Jeanshosen
Durch Produktionsstätten in Ländern, die bei Arbeitnehmer:innenrechten nicht so genau hinschauen, umgehen die Konzerne Verbote, die in Europa eingeführt worden sind. So ist beispielsweise das Sandstrahlen von Jeans in der EU verboten. Jeans mit abgetragenem Look verkaufen sich aber gut und sind besonders günstig in der Produktion, wenn auf Sicherheitsausrüstung verzichtet wird. Das Einatmen von (Quarz-) Staub führt aber zu Silikose, allgemein bekannt als Staublunge – eine unheilbare Lungenkrankheit. Schätzungsweise sind in der Türkei 4.000 bis 5.000 Arbeiter:innen an Silikose erkrankt. Seit 2009 ist das Sandstrahlen auch in der Türkei verboten und seit 2010 bekommen Silikose-Patient:innen eine kostenfreie medizinische Versorgung. Die Textilkonzerne wurden nicht zur Verantwortung gezogen, die Produktionskarawane ist einfach weitergezogen. Solche Jeanshosenwerden jetzt in Ägypten, Bangladesch oder China produziert.
Verbotene Pestizide auf unseren Tellern
Vor Kurzem haben Arbeiterkammer OÖ und Global2000 importiertes Obst und Gemüse aus Nicht-EU-Ländern untersucht. In drei Viertel der Proben wurden Pestizidrückstände gefunden. Oft handelt es sich um Pestizide, die in der EU verboten sind, weil sie die Gesundheit der Arbeiter:innen gefährden und die Umwelt zerstören. Die Pflanzenschutzmittel selbst stammen aber sehr oft aus Europa. 80.000 Tonnen von in der EU verbotenen Pestiziden wurden 2018 von europäischen Unternehmen exportiert. Weil die Arbeiter:innen meist nicht mit angemessenem Arbeitsschutz ausgestattet sind, können sie eine Pestizidvergiftung erleiden, das Grundwasser wird verunreinigt, die Artenvielfalt zerstört. Auch hier wurden bis jetzt weder Pestizidproduzenten noch multinationale Agrarkonzerne zur Verantwortung gezogen.
Gerechtigkeit geht alle an! Kampagne für ein wirksames EU-Lieferkettengesetz
Arbeitsausbeutung und Umweltzerstörung sind keine Seltenheit in den globalen Wertschöpfungsketten von Unternehmen. Für diese negativen Auswirkungen müssen Unternehmen in der Regel nicht geradestehen. Gewerkschaften und NGOs kämpfen schon lange gegen diese Ungerechtigkeit. Jetzt ist Veränderung in Sicht: Die EU-Kommission hat Anfang2022 einen Vorschlag für ein EU-Lieferkettengesetz präsentiert. DieEU-Mitgliedstaaten haben ihre Position dazu im Rat bereits festgelegt und bald beginnen die finalen Verhandlungen. Es geht um viel. Lassen wir nicht zu, dass aus dem EU-Lieferkettengesetz ein bloßer Papiertiger wird! Die europaweite Kampagne „Gerechtigkeit geht alle an“ („Justice is Everybody’s Business“)fordert wirksame Regeln. Unternehmen müssen endlich in ihren globalen Wertschöpfungsketten Verantwortung für Menschenrechte und die Umweltübernehmen! Als Sicherheitsvertrauensperson setze auch du ein Zeichen für ein starkes Lieferkettengesetz. Bitte mitmachen, teilen, unterschreiben! justice-business.org
Was genau ist ein Lieferkettengesetz?
Ein Lieferkettengesetz verpflichtet Unternehmen zur Einhaltung von grundlegenden Standards entlang ihrer Lieferketten. So müssen sie etwa darauf achten, wo entlang ihrer Lieferkette Menschenrechtsverletzungen oder Umweltzerstörung drohen. Wenn ein Unternehmen feststellt, dass dieses Risiko besteht, muss es wirksame Gegenmaßnahmen ergreifen und darüber berichten. Eine unabhängige Behörde kontrolliert, ob Unternehmen diese Sorgfaltspflichten einhalten. Anders als in anderen Ländern existiert in Österreich kein Lieferkettengesetz. In Frankreich gibt es seit 2017 ein diesbezügliches Gesetz (loi de vigilance). In Deutschland ist Anfang 2023 das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz in Kraftgetreten. Künftig soll es ein EU-Lieferkettengesetz geben. Derzeit wird darüber verhandelt.
Forderungenvon AK und ÖGB
Die EU-Kommission hat Anfang 2022 einen Vorschlag für ein EU-Lieferkettengesetz mit dem Titel „Richtlinie über die Sorgfaltspflichten von Unternehmen im Hinblick auf Nachhaltigkeit“ vorgelegt. Große Unternehmen sollen künftig verpflichtet werden, Menschenrechte und die Umwelt entlang ihrer globalen Wertschöpfungsketten zu achten. AK und ÖGB begrüßen den Vorschlag, fordern aber Nachbesserungen. Das EU-Lieferkettengesetz muss
• für alle Unternehmen und auch für den Finanzsektor gelten,
• die gesamte Wertschöpfungskette abdecken,
• Gewerkschaften und andere Stakeholder verpflichtend miteinbeziehen,
• eine wirksame zivilrechtliche Haftungsregelung beinhalten, damit Betroffene zu ihrem Recht kommen,
• Unternehmen auch in Sachen Klimaschutz zur Sorgfalt verpflichten,
• strenge Regeln für Auditor:innen und Zertifizierungen beinhalten,
• eine Untergrenze darstellen (EU-Mitgliedstaaten, die strengere Gesetze wollen, dürfen nicht behindert werden).
Autorinnen:
Sarah Bruckner, AK Wien
Isabelle Ourny, ÖGB international
(zuerst erschienen in „Gesunde Arbeit“, Ausgabe2/2023)